Januar 2021: Einweihung der Heiligen Stiege in Bonn vor 270 Jahren
Auf dem Kreuzberg im Bonner Ortsteil Endenich steht die barocke Kreuzbergkirche, errichtet im Jahr 1627, mitten im Dreißigjährigen Krieg. Mehr als hundert Jahre später wurde an diese Kirche die Heilige Stiege gebaut. Das Werk des berühmten Barockbaumeisters Balthasar Neumann wurde im Jahr 1746 begonnen und fünf Jahre später vollendet. Vor 270 Jahren, im Jahr 1751, weihte der Kurfürst Clemens August die von ihm gestiftete Heilige Stiege ein.
So ist die Archivalie des ersten Monats des neuen Jahres eine Fotografie der Heiligen Stiege, aufgenommen vom Bonner Fotografen Gerhard Sachsse, aus dem Jahr 1955.
Die Heilige Stiege ist ganzjährig von außen durch ein Absperrgitter zu besichtigen, aber nur am Karfreitag und Karsamstag sowie am 14. September zum Patronatsfest, dem Fest der Kreuzerhöhung, geöffnet. Sie besteht aus drei Treppen – zwei schmalen an den Seiten und einer breiten in der Mitte. Die Stufen der breiten, aus Marmor gefertigten Hauptstiege in der Mitte sind so angelegt, dass christliche Pilger genauso wie anders- oder nichtgläubige Menschen diese auf den Knien erklimmen können. Für den aufrechten Gang sind die seitlichen Treppen vorgesehen. Am Kopf der Treppe steht der gekreuzigte Jesus. Der Aufstieg symbolisiert die Hinwendung zu und die Annäherung an Gott - der kniende Aufstieg zeigt Demut und verinnerlicht, dass die Annäherung an Gott in einer von Unvollkommenheit und Beschwernissen geprägten Welt stattfindet.
Die Heilige Stiege in Bonn ist ein Passions-Wallfahrtsort – sie ist eine von vielen Nachbildungen der Scala Santa am Lateranpalast in Rom, die jene Treppe aus dem Palast des Pontius Pilatus sei, die Jesus vor seiner Verurteilung hinaufsteigen musste. Die Heilige Helena habe sie im Jahre 326 nach Rom bringen lassen.
In den insbesondere im Internet gut verfügbaren Wissensquellen zur Heiligen Stiege in Bonn wird auf eine Vielzahl von interessanten und auch faszinierenden Einzelheiten zur Geschichte und Gestaltung dieses schönen Bauwerks hingewiesen. Dem nicht vorgebildeten Autor dieser Zeilen ist bei der Besichtigung der Heiligen Stiege aufgefallen, dass die Uhr im Giebel gemalt ist. Nachzulesen ist, dass sie mit viertel vor Zwölf der Überlieferung nach den Zeitpunkt angibt, zu dem Pilatus Jesus dem Volk präsentierte. Diese Szene ist es auch, die auf dem Balkon der Außenfassade dargestellt ist.
Februar 2021: Kalender aus der NS-Zeit „Praktisch sein leicht gemacht!“
Das Stadtarchiv Bonn besitzt eine Sammlung mit 134 Kalendern, darunter auch einen Kalender aus der NS-Zeit mit dem Titel „Praktisch sein leicht gemacht!“ für das Jahr 1941, der vom Kaufhof Bonn herausgegeben wurde. Er ist historisch interessant - als NS-Propagandamittel war er ein wichtiges Verbreitungsmittel der Blut- und Bodenideologie der Nazis.
Der Kalender richtet sich an die „deutsche Hausfrau“ über die Hitler 1936 sagt: „Die Welt der Frau [sei] die Familie, ihr Mann, ihre Kinder, ihr Heim“ – diese Rolle spiegelt der Kalender durchgängig wider. So wird dem 1938 ins Leben gerufenen „Muttertag“ natürlich auch ein Kalenderblatt gewidmet. Da viele Männer an der Front sind, der Kalender wurde 1940 - also im zweiten Kriegsjahr - produziert, wird die Frau zu einem wichtigen Vermittler der nationalsozialistischen Ideologie und kämpft „heldenhaft“ als Frau und „deutsche Mutter“ für die Volksgemeinschaft an der „Heimatfront“.
Bei dem mittelgroßen Abreißkalender (Maße: 16 x 24 cm) im Hochformat wird die Kalenderwoche jeweils von einem Foto unterlegt. Die schwarz-weißen beziehungsweise braungetonten Kalenderblätter geben unter anderem beidseitig Schönheits- und Haushaltstipps, so wie beispielsweise zur „Fuß-Gymnastik und -Pflege“ oder zur „Richtigen Nähmaschinen-Pflege“. Da die „deutsche Hausfrau“ vor allem Mutter war, kommen Ratschläge zur Kindererziehung nicht zu kurz: neben dem Abriss über „die wichtigsten Ereignisse der ersten Monate“ eines Kindes, dem Stricken von Windelhosen über das Anfertigen von Wadenwickeln bei Fieber, bis hin zu dem Einrichten eines Schularbeitsplatzes zu Hause, wird alles Existentielle behandelt. Zum Auflockern der eigentlichen Thematik - den Überlebensstrategien in Kriegszeiten - wurde von den Herausgebern der Erholung und Freizeit gedacht: So zeigt das erste Kalenderblatt fröhliche Skifahrer in idyllischer Winterlandschaft. Darüber hinaus gibt es nicht nur Anleitungen zum „richtigen“ Einkellern von Kartoffeln, dem „Bauen eines Treibhauses am Küchenfenster aus einer alten Kiste“ oder Tricks beim wirtschaftlichen Heizen, sondern es werden auch „Erste Hilfe“-Maßnahmen aufgelistet.
Wie hochpolitisch der so unverfänglich wirkende „Hausfrauenkalender“ war, verdeutlichen die Eintragungen bestimmter Ereignisse. So wird im Kalender nicht nur die Propagandaaktion des monatlichen „Eintopfsonntags“ vermerkt. Politische Ereignisse, wie der Eintrag am 30. Januar: „1933 Adolf Hitler wird Reichskanzler“, die „Kriegserklärung Englands und Frankreichs an Deutschland“ am 3. September 1939 oder die „Heimkehr des Saarlandes“ am 1. März 1935 sowie die Kapitulationen verschiedener Länder, sind eingetragen. Auch Geburts- und Todesdaten von NS-Prominenz fehlen nicht in diesem, vornehmlich Propagandazwecken dienenden, Druckwerk.
März 2021: Männer mit Mund- und Nasenschutz vor Traditionsgaststätte (Bonn 1918)
Bei dem auf der Ansichtspostkarte aus der Sammlung des Bonner Stadtarchivs abgebildeten Fachwerkhaus handelt es sich um die Gastwirtschaft Zum Alten Keller, eine der ältesten in Bonn. Auf zwei Gefachen prangt die Jahreszahl „1553“, und tatsächlich wird sie um das Jahr 1561 zum ersten Mal erwähnt. Im November 1792 soll Johann Wolfgang von Goethe dort eingekehrt sein: „in Tabak schmauchender, Glühwein schlürfender Gesellschaft“ – wie er später notierte – versuchte er seine Kleidung und sich zu trocknen, nachdem der von ihm angemietete Kahn – er war auf dem Weg nach Düsseldorf – voll Wasser gelaufen war und zu kentern drohte.
„Gasthof & Restauration“ ist über der Eingangstür zu lesen. Zimmer mit Frühstück wurden ebenso angeboten wie ein – vermutlich preiswerter - „Mittagstisch“. Die Gaststätte befand sich in der Rheingasse, dem alten Kneipenviertel Bonns, wo Menschen und Waren jahrhundertelang tagein tagaus zwischen der Anlegestelle am Rhein und dem Markt hin und her fluteten. Es war – vom Strom aus betrachtet – das zweite Haus auf der rechten Seite im Bereich der heutigen Oper. Am 18. Oktober 1944 wurde der Alte Keller und mit ihm ein Großteil der historischen Bonner Altstadt bei einem Luftangriff, dem schwersten des ganzen Zweiten Weltkriegs, zerstört.
Die Fotografie, die die Vorlage für die Bildpostkarte gab, stammt von 1918, dem letzten Jahr des Ersten Weltkriegs. Vor der Gaststätte posieren zwei Frauen und zwei Männer, möglicherweise der langjährige Wirt Leopold Passmann mit Gästen oder mit Personal.
Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass die abgelichteten Herren einen – uns nunmehr seit einem Jahr so vertrauten – Mund- und Nasenschutz tragen. Der Grund für die Maßnahme war eine Anfang 1918 in den USA ausgebrochene Viruserkrankung, die von Soldaten nach Europa gebracht wurde, sich rasant in weiten Teilen der Welt verbreitete und über die erstmals im Mai 1918 in Spanien offiziell berichtet wurde. Von daher bürgerte sich für diese sich zur Pandemie entwickelnden Krankheit die Bezeichnung Spanische Grippe oder Spanische Influenza ein. Sie grassierte in Europa vor allem an den unmittelbaren Kriegsschauplätzen, aber auch an der Heimatfront kam es zu zahlreichen Ansteckungen und entsprechenden Maßnahmen. So wurde beispielsweise das Tragen von Mund- und Nasenschutz angeordnet und Großveranstaltungen untersagt.
Am 16. Oktober 1918, wenige Wochen vor Kriegsende, berichtete die Kölnische Volkszeitung aus Bonn, dass die Zahl der Erkrankten „stark“ zunehme: „An der Allgemeinen Ortskrankenkasse werden täglich durchschnittlich 100 Krankheitsfälle angemeldet. Die Leitung der Straßenbahnen kündigt erhebliche Betriebseinschränkungen an. Die Schulen sind heute sämtlich geschlossen worden. In vielen Fällen führt die Grippe zur Lungenentzündung und somit zum Tode.“
Jener Herbst 1918 bildete, soweit man weiß, den Höhepunkt der Spanischen Grippe in Bonn, die erst 1920 endgültig abklang. Weltweit fielen ihr zwischen 27 und 50 Millionen Menschen zum Opfer.
Die Medizin hat mittlerweile eine ganze Reihe von Vergleichbarkeiten zwischen der vor einem Jahrhundert wütenden Spanischen Grippe und der aktuell die Welt in ihrem Bann haltenden, auf das Covid-19 Coronavirus zurückgehenden Pandemie ausgemacht.
Der Umgang mit und die Auswirkungen der Spanischen Grippe sind für Bonn im Einzelnen noch nicht erforscht. Die mit Mund- und Nasenschutz ausgestatteten Frauen und Männer vor der Gaststätte Zum Alten Keller sind vielleicht ein Anreiz hierzu.
April 2021: Ostergruß 1906 aus dem Kurort (Bad) Godesberg am Rhein
Mit dem diesjährigen April-Zeitfenster wünschen Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek allen Nutzerinnen und Nutzern ein frohes und vor allem gesundes Osterfest 2021!
Der hier gezeichnete Ostergruß entstand durch den Wismarer Maler und Lithografen Friedrich Bremer (1860 bis 1924), der sich 1906 als Patient in Dr. Franz Müllers „Sanatorium Schloß Rheinblick“ in Godesberg aufhielt. Ein Postkartenalbum mit 202 Zeichnungen des Künstlers hat sich im Stadtarchiv in der Sammlung „Aennchen Schumacher“ (SN 152) erhalten. Die überwiegend postkartengroßen Malereien und Zeichnungen zeigen überwiegend Wismarer- und Küstenmotive, darunter befinden sich aber auch einzelne Rhein- und Godesberger Ansichten.
Bremer betrieb in Wismar eine Druckerei und Lithografieanstalt und fertigte Postkarten mit überwiegend Wismarer Ansichten unter anderem des Wismarer Hafens. Nach seinem Sanatoriumsaufenthalt hatte der morphium- und alkoholkranke Maler weiterhin Beziehungen nach Bad Godesberg. So wohnte er 1908 sowie 1914 bis 1918 wiederum hier, und seine Schwester Ida Bremer, verwitwete Trendelburg, lebte später ebenfalls in Bad Godesberg.
Der Sammlungsbestand „Aennchen Schumacher“ umfasst hauptsächlich Fotografien und Postkarten, aber auch Briefe und Zeitungsartikel sowie Bücher mit Autorenwidmungen und dokumentiert das (studentische) Leben in Bonn und Bad Godesberg vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die Zeit vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg. Die umfangreiche Sammlung hatte Aennchen Schumacher bereits 1930 der Stadt Bad Godesberg vermacht, die 1931 ein Aennchen-Museum einrichtete. Durch Kriegszerstörung wurde das Museum nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wiederaufgebaut. 1971 gelangte die Sammlung ins Stadtarchiv.
Anna Sibylla Schumacher, genannt „Aennchen“ wurde am 22. Januar 1860 in Godesberg geboren. Nach dem frühen Tod Ihres Vaters Wilhelm Schumacher übernahm sie mit nur 18 Jahren zusammen mit ihrer Halbschwester Gertrud Rieck die Führung der Gaststätte „Lindenwirtschaft“. Wegen der günstigen Lage am Fuße der Godesburg, aber auch wegen der Lindenwirtin selbst war die Gaststätte eine sehr beliebte Studentenkneipe.
1925 wurde Aennchen Schumacher die Ehrenbürgerwürde der Stadt Bad Godesberg verliehen. Sie starb am 26. Februar 1935 und wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Burgfriedhof beerdigt.
Die biografischen Informationen zum Wismarer Maler und Lithografen Friedrich Bremer verdanken wir überwiegend dem Stadtgeschichtlichen Museum Wismar.
Mai 2021: Joseph Beuys in Bonn - zum 100. Geburtstag
Ja Ja Ja Ja Ja, Ne Ne Ne Ne Ne statt ta ta ta taa - so erklang es 2013 viele Minuten lang zur Verblüffung der zahlreichen Gäste zu Beginn der Verabschiedung von Ilona Schmiel als Intendantin des Bonner Beethovenfestes in den Räumen der Deutschen Welle.
Die legendäre Aufnahme der Fluxus-Veranstaltung von Joseph Beuys aus dem Jahr 1968 statt einer Einspielung des Beethoven-Orchesters Bonn, der rheinische Schamane statt des einsamen Revolutionärs – eine gewollte Irritation, ja vielleicht sogar Provokation?
Beides passt neben der rheinischen Herkunft zu Beethoven und Beuys; darüber hinaus zeugt der Beitrag von Beuys zu Mauricio Kagels Film Ludwig van mit der Installation und Performance „Beethovens Küche“ von einer intensiven Beschäftigung des Künstlers mit dem großen Komponisten.
Joseph Beuys, dessen 100. Geburtstag überall und natürlich auch in Bonn gefeiert wird, hatte vielfältige Beziehungen zu unserer Stadt.
Nicht nur, dass er ein bönnsches Mädchen, die heute 88-jährige Eva, geb. Wurmbach, Tochter eines Zoologie-Professors aus Dottendorf, 1959 in der Doppelkirche von Schwarz-Rheindorf ehelichte, auch seine künstlerischen und politischen Aktionen fanden in Bonn besonderes Interesse und sind in der Fotosammlung des Bonner Stadtarchivs detailliert dokumentiert.
Bereits 1973 stellte der engagierte Galerist und Art Cologne-Preisträger Erhard Klein in der Königstraße alle Multiples des Aktionskünstlers in Beuys‘ Beisein aus, so auch den berühmten Schlitten, und ließ in den kommenden Jahren viele weitere Ausstellungen folgen, immer verbunden mit der Bitte: mach et nisch zu teuer ...
Berühmt wurde 1983 eine Aktion im Zusammenhang mit Beuys‘ ökologischem Projekt Difesa della natura, bei der Kartons von 12 mit Beuys-Etiketten versehenen Rosé-Flaschen zugunsten der von ihm in Düsseldorf gegründeten Free International University bei Klein verkauft werden sollten. Das Farbfoto von Franz Fischer zeigt Beuys bei genau dieser Veranstaltung. Der Galerist hatte auf der Einladung den Hinweis vergessen, an wen der Erlös gehen sollte, worauf Beuys die übrig gebliebenen Einladungskarten mit der Aufschrift ERHARD KLEIN UNKONZENTRIERT bedrucken ließ, sie signierte, nummerierte und zum Verkauf anbot. Dies löste eine mehrjährige künstlerische Kettenreaktion aus: Albert Oehlen/Martin Kippenbergers Edition ERHARD KLEIN VOLLKONZENTRIERT, Georg Herold mit 10 Wodka Flaschen ERHARD KLEIN KONZENTRAT, ein Notenheft von Friedrich Meschede ERHARD KLEIN KONZERTANT und schließlich das von Reiner Speck und Friedrich Schroers verfasste Jubiläumsheft zum 20-jährigen Bestehen der Galerie ERHARD KLEIN VOLL KONZENTRIERT.
Beuys‘ „erweiterter Kunstbegriff“ umfasste sein politisches und ökologisches Engagement.
Seine Ideen zur direkten Demokratie propagierte er 1973 in der Galerie Magers, sein Konzept zur Städteplanung („Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“) 1984 in der Bonner Universität vor einem teils andächtig lauschenden, teils skeptischen Publikum.
Der Pop-Künstler Andy Warhol verewigte ihn 1980 nach einer Begegnung in München; das Porträt schenkte der Bonner Galerist Hermann Wünsche der Stadt für ihr Kunstmuseum, das durch den Erwerb der Sammlung Ulbricht, ergänzt um spätere Ankäufe, und durch die Schenkung der vollständigen Beuys-Bibliothek von Erhard Klein zur ersten Adresse für die Werke dieses Künstlers wurde. Die hauseigene Website verzeichnet immerhin 450 Beuys-Objekte.
Das Bonner Stadtarchiv verfügt über bedeutende und teilweise einzigartige Aufnahmen nicht nur der Bonner Auftritte des Künstlers, vorwiegend gesehen und festgehalten von den (nicht verwandten) Fotografen Camillo Fischer und Franz Fischer.
So hat zum Beispiel Camillo Fischer durch reinen Zufall 1967 von einer der frühen Beuys-Aktionen HAUPTSTROM UND FETTRAUM in Darmstadt erfahren und sie auf Zelluloid gebannt, die einzige Dokumentation dieses 10-stündigen Ereignisses überhaupt, die 1993 im Bonner Syndikat gezeigt wurde. Das Foto zeigt einen Teil dieser Performance.
Das legendäre Streitgespräch zwischen Beuys und dem Gründer der Artist-Placement-Group, John Latham 1978 im Bonner Kunstverein über Kunst als soziale Strategie fotografierte hingegen Franz Fischer, der zahlreiche Ausstellungen und Aktionen von Joseph Beuys begleitet und festgehalten hat, zum Beispiel die Kehraktion in Düsseldorf und auch manche private Situation. Auch die letzte Aufnahme wenige Tage vor Beuys Tod im Januar 1986, nach der Verleihung des Lehmbruck-Preises, stammt von Franz Fischer und war das Titelfoto der Ausstellung zu dessen 80.Geburtstag 2017 im Foyer des Stadthauses.
Wie wichtig und weithin anerkannt beide Fotografen für die Dokumentation des Schaffens dieses auch durchaus umstrittenen Künstlers sind, zeigen die Ausstellungen in Salzburg und Wien 1994 von Camillo Fischer und die Verwendung eines Großfotos von Franz Fischer in der Züricher Ausstellung 1993 sowie im Eingangsbereich der bedeutendsten Beuys Dauerausstellung in Schloss Moyland.
Auch nach seinem Tod war Joseph Beuys weiter in Bonn präsent: mit Ausstellungen, Vorträgen und Dokumentationen. Anlässlich seines 100. Geburtstags ehren ihn die Bundeskunsthalle und das Kunstmuseum mit Sonderausstellungen.
Juni 2021: Fronleichnamsprozession in der Kölnstraße, um 1880
Zu den frühen fotografischen Abbildungen der Bonner Nordstadt gehören die hier gezeigten Aufnahmen einer Fronleichnamsprozession der Stiftspfarre aus der Zeit um 1880. Der Name Fronleichnam leitet sich ab vom mittelhochdeutschen vrône lîcham (des Herrn [vron oder fron] Leib).
Das in der katholischen Kirche bis heute gefeierte Fronleichnamsfest entstand im 13. Jahrhundert im Bistum Lüttich. Es wird begangen am Donnerstag nach dem ersten Sonntag nach Pfingsten. Charakteristisch ist der in Verbindung mit einer Eucharistiefeier veranstaltete Umzug durch die Straßen und Fluren der jeweiligen Kirchengemeinde, wobei die Gemeinde das in einem wertvollen, von einem Geistlichen unter einem Baldachin („Himmel“) getragene Schaugefäß (Monstranz; lat. monstrare – zeigen) begleitet, im dem eine geweihte Hostie, das Allerheiligste, ausgestellt ist. Unterwegs wird an oft althergebrachten Orten Station gemacht, es wird gesungen und gebetet, und die Gläubigen werden gesegnet. Die heutige Theologie interpretiert das Fest als Bild des wandernden Gottesvolks mit Christus, dem Brot des Lebens, in seiner Mitte.
Die beiden kurz hintereinander von der gleichen Stelle aus gemachten Aufnahmen eines unbekannten Fotografen zeigen die Kölnstraße zwischen dem Wilhelmsplatz (im Hintergrund) und der Theaterstraße (im Vordergrund rechts) und der Kasernenstraße (im Vordergrund links). Nur noch wenige Schritte trennen die vorderen Zugteilnehmer vom Erreichen der Stiftskirche, dem Ausgangs- und Endpunkt der Prozession. Schulkinder bzw. Kinder in ihrer Erstkommunionausstattung, begleitet wohl von ihren Lehrern, bilden die Spitze. Im Hintergrund, in Richtung Wilhelmplatz, erkennt man weitere Fahnen und Tragekreuze, vor allem eine nicht enden wollende Menschenmenge, Frauen, Männer und Kinder, Mitglieder der kirchlichen Vereine sowie Musikgruppen. Vereinzelt sehen wir interessierte oder auch neugierige Passanten am Straßenrand, einige schützen sich mit einem Schirm vor der starken Sonne.
Gerade in der so aufgeheizten innenpolitischen Atmosphäre des Kulturkampfes, der in den 1870er und 1880er Jahren – und auch noch danach – das Verhältnis zwischen preußisch-deutschem Staat und katholischer Kirche nachhaltig belastete, wurden die Fronleichnamsprozessionen zu regelrechten Demonstrationen zugunsten der als verfolgt erlebten katholischen Kirche.
Die Nordstadt, fälschlicherweise häufig als Altstadt bezeichnet, konnte sich erst im Anschluss an die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert erfolgte Niederlegung der mittelalterlichen (im Bereich der Theater- und Kasernenstraße) und der ihr vorgelagerten frühneuzeitlichen Stadtbefestigungen entwickeln, anfangs nur schleppend, dann seit den 1870er Jahren, der sogenannten Gründerzeit rasant. Das Großteil der an der linken Straßenseite stehenden, mehrgeschossigen Wohngebäude stammen aus dieser Zeit. Bei dem großen Gebäude im rechten Bildvordergrund handelt es sich um das seit 1839 in Betrieb befindliche Garnisonslazarett, das nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg als Zollamt diente.
Juli 2021: Abiturprüfungen im Laufe der Jahrzehnte
Mit der Zeugnisvergabe im Juli beenden auch dieses Jahr wieder zahlreiche Schülerinnen und Schüler in Bonn und im ganzen Land ihre Schullaufbahn mit dem Erlangen des Abiturs. Je nach Schule gibt es, neben den klassischen Pflichtfächern Mathe, Deutsch und Englisch, ein unterschiedliches Angebot von Naturwissenschaften, Sprachen, Gesellschaftswissenschaften und künstlerischen Fächern. So kann sich jeder eine Kombination aus den bevorzugten Fächern zusammenstellen. Über die tatsächlichen Inhalte der Klausuren kann dann aber jedes Jahr aufs Neue nur spekuliert und gehofft werden.
Auch, wenn nicht sogar besonders, dieses Jahr haben es die Abituraufgaben wieder mit viel Kritik in die Schlagzeilen geschafft. Ein Text in Englisch wegen der umgangssprachlichen Wortwahl des Autors, die Matheaufgaben aufgrund ihres Schwierigkeitsgrades. Interessant ist hierbei immer zu beobachten wie sich die Bedingungen der Prüfungen, die Pflichtlektüre und auch die Themen der fremdsprachigen Texte von Jahr zu Jahr verändern. Viele entdecken schon allein zwischen sich und ihren Geschwisterkindern deutliche Unterschiede im Lehrplan und der dazugehörigen Lektüre. Diese Unterschiede sind auch historisch sehr interessant zu beobachten.
Anhand des Schulbestandes des Clara-Schumann-Gymnasiums ist genau dies möglich. Das Clara-Schumann-Gymnasium, 1909 eröffnet als private Studienanstalt, ist das älteste Mädchengymnasium in Bonn. Clara Schumann wurde erst ab 1945 die Namenspatin und seit 1973, mit der Einführung der Koedukation, besuchen auch Jungen die Schule Die Überlieferung zu den Abiturprüfungen, damals noch Reifeprüfungen genannt, beginnt 1939. Reifezeugnisse und somit die Unterrichtsfächer sind sogar schon ab 1915 überliefert, also seitdem die Schule städtisch ist. Im Frühjahr 1909 schrieben die ersten 10 Schülerinnen ihre Abschlussprüfungen in der damaligen realgymnasialen und gymnasialen Studienanstalt.
Die Prüfungen aus dem Jahrgang 1909 sind im Bestand S03 aber leider nicht vorhanden. Einem Zeitzeuginnen Bericht, in der Festschrift „50 Jahre Bonner Mädchengymnasium“ (Signatur: I f 387), lässt sich aber das anfängliche Fächerangebot entnehmen. Mathe, Latein, Englisch, Französisch und Deutsch wurden unterrichtet. Geprüft, zur großen Überraschung der Schülerinnen, wurde von der Kommission in Köln dann aber zusätzlich auch noch in Erdkunde. Turnunterricht gaben sich die Schülerinnen vorerst selbst.
Die ab 1939 überlieferten Abschlussarbeiten dokumentieren in 5 Jahres-Schritten die Anforderungen und Entwicklungen in den eben genannten Fächern, sowie in Hauswirtschaftslehre und Nadelarbeiten. Wobei letztere beiden Fächer aus heutiger Sicht am meisten den Wandel der Zeit widerspiegeln. Ebenso Sport in der Abschlussprüfung ist heute eher eine Ausnahme. Auch sprachlich gesehen, mit Abschlussarbeiten in Griechisch und Italienisch, bot die Schule ein breit gefächertes Angebot, welches man heute an manchen Schulen so nicht mehr findet.
Erst ab 1980 sind Abschlussarbeiten in den heutzutage geläufigeren Fächern wie z.B. Geschichte, Erdkunde, Religionslehre bzw. Philosophie und Biologie überliefert. Dann auch mit den jetzt bekannten Bezeichnungen von Grund- und Leistungskurs statt den Klassennummern.
August 2021: Brief aus der Bonner Universitätsfrauenklinik aus dem Jahr 1945
Zu Beginn des Jahres 1945 erhielt Dr. Robert Brühl, Arzt und Leiter der geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung des Herz-Jesu-Krankenhauses in Trier, eine Nachricht aus der Bonner Universitätsklinik. Der Brief vom 29. Januar 1945 stammt aus der Frauenklinik, Direktor war dort seit 1936 Prof. Dr. Harald Siebke (1899 bis 1964), unterschrieben hatte ihn dessen Assistentin Ilse Schön.
Anlass für das Schreiben war, dass Brühl, der in Bonn studiert hatte und bis 1936 Assistent und Dozent an der Bonner Frauenklinik war, Labormaterial zur Untersuchung nach Bonn geschickt hatte. Schön teilte Brühl mit, dass aufgrund der Zerstörung der Frauenklinik und des Pathologischen Instituts im Zuge der Luftangriffe derartige Untersuchungen erst nach Einrichtung eines Labors in der Hochschule für Lehrerbildung in der Görresstraße möglich seien; dies würde noch einige Zeit dauern. Im folgenden berichtet Schön von den Notunterkünften der verschiedenen Abteilungen der Bonner Krankenhäuser in der Stadt und von der jeweiligen Bettenzahl. Darüber hinaus gibt Schön Brühl den Hinweis, dass Patientinnen, die er nach Bonn schicken wolle, Bettwäsche mitbringen müssen.
Was diesen Brief so wertvoll für die Bonner Stadtgeschichte macht, ist die Tatsache, dass hier die Situation der Krankenhäuser in Bonn nach den Bombardierungen und Evakuierungen geschildert wird und er einen informationsreichen Einblick in die Organisation der medizinischen Versorgung in der Stadt wenige Monate vor Kriegsende gibt. Keine andere Quelle gibt so detailliert Auskunft über die konkreten Auswirkungen der Zerstörung durch die Luftangriffe hinsichtlich der täglichen Arbeit der Bonner Krankenhäuser und der Versorgung der Bevölkerung.
Dieser Brief ist als Geschenk aus dem Nachlass von Robert Brühl (1898 bis 1976) ins Bonner Stadtarchiv gelangt.
Literatur: Ralf Forsbach, Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“, München 2006
September 2021: Propaganda aus der Zigarettenschachtel
Aus heutiger Sicht befremdlich präsentiert sich dieses Sammelbildalbum aus der frühen Zeit des Nationalsozialismus. So genannte Zigarettenalben, die in ihrer Form heute noch als „Panini-Sammelalben“ auf dem Markt sind, dienten in ihrem Ursprung vor allem zu Werbezwecken. In der NS-Zeit wurde zusätzlich eine „Indienststellung der Alben als propagandistisches Vermittlungsmedium“ (Ilgen/Schindelbeck, S. 98) etabliert.
Alben dieser Art wurden beispielsweise von den Firmen Yramos oder dem Zigaretten-Bilderdienst Altona-Bahrenfeld herausgebracht und hatten Titel wie „Deutsche Heimat“ (1932) oder „Adolf Hitler“ (1936).
Das hier vorgestellte Exemplar, das auch vom Zigaretten-Bilderdienst Altona-Bahrenfeld herausgegeben wurde und dessen Bilder über Zigaretten der Marke Salem in Umlauf kamen, trägt den Titel „Kampf ums Dritte Reich. Historische Bilderfolge“ und stammt aus dem Jahr 1933. Auf 92 Seiten findet sich nicht nur Platz für Sammelbilder, die dort an vorgesehenen Stellen eingeklebt werden konnten, sondern auch Texte und Abbildungen.
Die Bildauswahl erfolgte durch den Münchner Heinrich Hoffman und die textliche Gestaltung durch Leopold von Schenckendorff, der unter anderem auch als Dichter und Komponist von NS-Liedern bekannt war.
Inhaltlich beschäftigt sich das Album mit der Machtübernahme Adolf Hitlers und der NSDAP aus der Sicht der Nationalsozialisten.
Angefangen beim frühen Werdegang Adolf Hitlers werden für den Aufstieg der NSDAP relevante Ereignisse wie der Hitlerputsch 1923 oder der Reichstagsbrand im Februar 1933 beschrieben. Interessant zu letzterem Ereignis ist die Einordnung der Autoren:
„Die kommunistische Partei Deutschlands hat ihr eignes Todesurteil gesprochen; - 81 Abgeordnete der K.P.D. haben sich selbst von der Mitarbeit am Volk und Vaterland ausgeschlossen. Das Reichstagsgebäude in Berlin, in das skrupellose Verbrecher den Brand wahnsinniger Zerstörungswut geworfen haben, steht heute leer und verlassen. Warnend und mahnend ragt die ausgebrannte Kuppel in den Himmel!“ (S. 72)
An dieser Stelle zeigt sich deutlich der propagandistische Zweck des Albums. Der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) die Schuld am Reichstagsbrand zuzuweisen, stellte ein Schlüsselereignis im Zuge der Festigung des NS-Regimes dar. Auch wenn bis heute nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, durch wen der Brand verursacht wurde, konnte die NSDAP so die am 28. Februar 1933 erlassene Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat rechtfertigen. Diese führte dazu, dass durch weitreichende Grundrechteinschränkungen der Weg in die Diktatur geebnet werden konnte.
Neben der Chronik zur Machtübernahme finden sich im Album unter anderem auch Texte und Bilder zur Hitlerjugend, oder zu hohen Funktionären der NSDAP, wie bspw. Joseph Goebbels.
Aus heutiger Sicht ist das Album ein wertvolles Zeugnis dafür, wie Propaganda in dieser Zeit - neben den bekannteren Mitteln wie zum Beispiel der Mediengleichschaltung - aussehen konnte.
Das Exemplar, das dem Stadtarchiv 2009 vom Militärhistorischen Museum der Bundeswehr überlassen wurde, ist vollständig und in gutem Zustand erhalten.
Quellen:
- Volker Ilgen und Dirk Schindelbeck, Die Jagd auf den Sarotti-Mohr, Frankfurt 1997
- Schürmann, S. (2009, 15. Mai): OPUS 4 | Gesammelte Geschichtsbilder. Historische Motive in der Alltagskultur. Zeithistorische Forschungen. https://zeitgeschichte-digital.de/doks/frontdoor/index/index/docId/1857 (Öffnet in einem neuen Tab)
- Bildung, B. F. P. (2018, 26. Februar): Reichstagsbrand – auf dem Weg in die Diktatur | bpb. bpb.de. https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/265402/reichstagsbrand (Öffnet in einem neuen Tab)
- Fotos Personen - Geschlecht derer v. Schenckendorff. (2021): Familie von Schenckendorff. http://www.familie-von-schenckendorff.de/fotos-personen/#widget-e5ee5b2d-a50d-b079-34af-053c9e660e2a=page2 (Öffnet in einem neuen Tab)
Oktober 2021: Georg Munker
Passend zur Jahreszeit - dem „goldenen Herbst“ mit seinen traditionellen Winzerfesten - stellt das Stadtarchiv ein Foto des bekannten Pressefotografen Georg Munker (1918 bis 2002) vor.
Das schwarz-weiß Foto im Hochformat entstand im Jahre 1952 beim Winzerfest in Königswinter, das alljährlich am ersten Wochenende im Oktober stattfindet. Es zeigt einen als Weingott Bacchus verkleideten Mann, der mit seinem Gefolge am Rheinufer vor der Königswinterer-Godesberger-Fähre in einem Nachen anlegt. Mit seinen zwei Bacchantinnen im Dirndl begrüßt der Weingott fröhlich die Schaulustigen und wartet darauf, vom Bürgermeister empfangen zu werden, wie sich aus dem Kontext der Bildserie mit einem Umfang von 25 Fotos erschließen lässt.
Der Pressefotograf Georg Munker war einer der bekanntesten Bonner Bildjournalisten, dessen Fotos gefragt und berühmt waren – so ging sein bekanntes Adenauer Portrait bei dem dieser „zwinkert“ um die Welt. Munker stammte aus dem mittelfränkischen Schnaittach und kam schon früh ins Rheinland. Nach einer handwerklichen Ausbildung wurde er hier Zeitungskorrespondent und arbeitete unter anderem 33 Jahre für die „Bonner Rundschau“ (1946 bis 1979). Sein Schwerpunkt lag vorwiegend auf politischen Ereignissen; so fotografierte er beispielsweise Staatsbesuche von Königin Elisabeth II und Präsident Kennedy oder Bundespräsidenten, Bundeskanzler sowie Sitzungen des Bundestags. Aber er hielt auch das Tagesgeschehen im Bonner Raum fest, wie das obige Foto verdeutlicht: So gibt es unter anderem zahlreiche bildliche Belege von Richtfesten, Dorfbürgermeistern, Karnevalspräsidenten oder Schützenvereinen.
Das Stadtarchiv besitzt rund 60.000 Negative von Georg Munker; daneben befinden sich weitere Negative und Dias im Bundesarchiv in Koblenz. Der Bestand Munker (DC17) ist besonders bedeutsam, weil er Bonns Entwicklung als Bundeshauptstadt zeigt – es sind wichtige Dokumente der Zeitgeschichte und der Stadtentwicklung der Bonner Nachkriegszeit bis in die Siebziger Jahre. Die Kontaktabzüge der Negative sind seit kurzem digitalisiert, wodurch ein Zugang zum Bildmaterial von Georg Munker deutlich erleichtert wird.
November 2021: Sack-Kalender und spätere Adressbücher
der königlich-preußischen Universität-Stadt Bonn sowie der Bundeshauptstadt Bonn
Auch wenn heute der Datenschutz wichtiger denn je ist und wir im digitalen Zeitalter angekommen sind, gab es lange davor ein Medium in dem jede Person lesen konnte, wo eine andere Person wohnt: das Adressbuch. Später wurde es auch gleichzeitig Telefonbuch und jede Person konnte eine andere Person problemlos anrufen. Heute unvorstellbar!
Öffentliche Adressbücher beinhalten verschiedene Verzeichnisse sortiert nach Einwohnern, Straßen und Hausnummern, Unternehmen und Branchen sowie Behörden. Auch können Vereine, Ärzte oder religiöse Gemeinschaften aufgeführt sein.
Im Stadtarchiv Bonn werden die Adressbücher seit Anfang des 19. Jahrhunderts aufbewahrt, damals noch als Sack-Kalender bekannt. Diese Kalender hatten, passend für die Hosentasche, meist ein Maß von 10 cm x 5 cm.
In dem ältesten im Stadtarchiv aufbewahrten Kalender von 1804 werden im ersten Teil die Monate des jeweiligen Jahres mit Angaben zu Namenstagen, Feierlichkeiten, Wochen- und Jahrmärkten sowie ein Kalender der Juden verzeichnet. Der zweite Teil umfasst ein Verzeichnis mit Häusern, den entsprechenden Nummern und deren Bewohner. Auf 23 Seiten werden die in der Stadt befindlichen Häuser von Nr. 1 bis 1125 aufgelistet. Die Häuser ab Nummer 1126 liegen vor der Stadt. Die höchste in diesem Verzeichnis zu findende Hausnummer ist 1159.
Die Sack-Kalender wurden bis 1854 herausgegeben. Im Jahr 1856/57, es wurde nicht jedes Jahr ein Kalender/Adressbuch veröffentlicht, wurde das erste „Adressbuch der königlich-preußischen Universität-Stadt Bonn“ herausgebracht, damals mit einer kurzen Geschichte der Stadt. Herausgegeben wurde es von der H. B. König’sche Verlagsbuchhandlung, jedoch wechselten im Laufe der Zeit die Herausgeber und Titel dieser Adressbücher. Zu Beginn wurde nur die damalige Stadt Bonn im Adressbuch geführt, ab 1870 kamen nach und nach Gemeinden und Vororte dazu. Die ausführliche Geschichte der Eingemeindung von Vororten und der heutigen Stadtgliederung Bonns ist im Stadtarchiv zu recherchieren. Auch Adressbücher aus der Zeit während des Ersten Weltkrieges sind in den Beständen des Stadtarchivs verzeichnet. Für die Zeit des Zweiten Weltkrieges, genauer zwischen 1943 und 1946, gibt es jedoch, vermutlich aufgrund von Ressourceneinsparungen, keine verzeichneten Adressbücher.
1947 findet man zum ersten Mal auch den Behördenteil für den gesamten Handelskammerbezirk Bonn (Stadt- und Landkreis Bonn, Siegkreis und Kreis Euskirchen).
Die Kommunale Neugliederung trat zwar ab 1969 schrittweise ein, aber erst ab 1979 verzeichnet das Bonner Adressbuch die neuen Stadtbezirke Bonn, Bad Godesberg, Beuel und Hardtberg. Das letzte verzeichnete Adressbuch im Stadtarchiv ist von 2016.
Auch wenn Adressbücher heute nicht mehr erscheinen, dienen sie bei historischen Forschungen als wichtige Quelle.
Während des Zweiten Weltkrieges wurden viele Archive zerstört, wodurch Literatur, Kultur- und Forschungsgüter unwiderruflich verloren gingen.
Daher gelten die gedruckten und weit verbreiteten Adressbücher heute als einzige Quelle, um Wohnorte von Personen zu ermitteln sowie Berufs- oder Namensbezeichnungen oder auch Hausnummern nachträglich festzustellen. Auch geben Adressbücher durch Angaben zu Firmen und Gewerbetreibenden die Wirtschaftsgeschichte einer jeweiligen Stadt wieder.
Einen besonderen Beitrag leisten Adressbücher heute bei der Ermittlung der letzten freien Wohnadressen von Opfern der NS-Diktatur in den 1930er/1940er Jahren, nicht zuletzt für die Verlegung der Stolpersteine, auch durch die Gedenkstätte Bonn.
Dezember 2021: Weihnachtsbräuche im Rheinland
Wer kennt es nicht, das gemütliche Zusammensitzen am Heiligen Abend, das regelmäßige Öffnen eines Adventskalenders oder dass der Weihnachtsmann die Geschenke bringt?
Die genannten Beispiele sind alles Bräuche, die sich über viele Jahre gefestigt haben und jedes Jahr wieder neu aufleben. Dabei können Bräuche von Region zu Region verschieden sein und sind somit ein wesentliches Identifikationssymbol, welches lokale als auch regionale Kulturstile prägt. Der Begriff stammt von dem Wort „brauchen“ ab und bedeutet ursprünglich so viel wie „etwas nötig haben“ oder „benötigen“. Bräuche verfolgen sowohl die Funktion Erinnerungen wachzuhalten als auch die Zeit zu strukturieren. Darüber hinaus erzeugen sie eine Gegenwelt zum Alltag und laden zu Geselligkeit ein, wodurch die Gemeinschaft gestärkt wird.
Basierend auf den entstandenen Bräuchen hat sich unser heute bekannter kirchlicher Festkalender entwickelt. Das christliche Festjahr ist gegliedert beginnend mit dem ersten Advent in Weihnachtsfestkreis, Osterfestkreis und die allgemeine Kirchenjahreszeit. Der für das Zeitfenster Dezember interessante weihnachtliche Festkreis umfasst die Zeit vom ersten Adventssonntag bis hin zum Fest der Taufe Jesu am 6. Januar.
Die beiden Bücher „Rheinisches Winter- und Weihnachtsbuch“ von Irmgard Wolf und Manfred Engelhardt und „Faszination Nikolaus : Kult, Brauch und Kommerz“ herausgegeben von Alois Döring befassen sich mit dem weihnachtlichen Brauchtum, welcher sich im Rheinland entwickelt hat.
Dabei gehen die Autoren uns heute bekannten Identifikationssymbolen der Weihnachtszeit wie dem Nikolaus, dem Weihnachtsmann oder auch dem Tannenbaum historisch auf die Spur und ergründen deren Ursprung sowie Entwicklung.
Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die Figur des Weihnachtsmanns zufällig durch den romantischen Maler Moritz von Schwind (1804-1871) zum Leben erweckt wurde. Seine malerische Figur mit rotem Mantel, roten Bäckchen und einen weißen Bart wurde zunächst als „Herrn Winter“ vorgestellt und erst später zu dem Weihnachtsmann gemacht, den wir heute kennen.
Das Buch „Faszination Nikolaus : Kult, Brauch und Kommerz“ beleuchtet zudem auch den kommerziellen Aspekt, welcher in Verbindung mit den Weihnachtsbrauch entstanden ist. Besonders der Verkauf von Schokolade hat in dieser Zeit Hochkonjunktur. Im Jahr 2000 wurden allein in Deutschland 21.000 Tonnen ungefüllter Hohlfiguren mit dem Weihnachtsmann als Motiv produziert. Die Herstellung hierfür findet bereits in den Sommermonaten statt.
Das Stadtarchiv und die Stadthistorische Bibliothek wünscht allen Leserinnen und Lesern eine besinnliche Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Quellen:
Döring, Alois (Hg.) (2001). Faszination Nikolaus : Kult, Brauch und Kommerz. Klartext-Verlag.
Wolf, Irmgard (2001). Rheinisches Winter- und Weihnachtsbuch : Brauchtum, Rezepte & Geschichten von St. Martin bis Lichtmess. Avlos-Verlag.
Döring, Alois (Hg.) (2010). Dem Licht entgegen : Winterbräuche zwischen Erntedank und Maria Lichtmess. Greven Verlag.