Januar 2016: Glückseliges Neujahr
Die Ansichtskarte mit den „verspäteten“ glückseligen Neujahrswünschen von Adolf Pohlmann aus Godesberg ging an seinen Bekannten Julius Dreher aus Obertiefenbach bei Idar. Der Stempel trägt das Datum vom 04. Januar 1909.
Auf der Bildseite ist die Ruine Godesburg zu sehen, die in eine festliche Neujahrsszene eingebettet ist: Fünf Putten tummeln sich dekorativ am sternenbeleuchteten Nachthimmel um eine mit Lorbeerkränzen verzierte Uhr, deren Zeiger auf Punkt 12 Uhr stehen. Zwei Putten stehen bzw. knien auf dem Rahmen des Bildes mit der Godesburg, während drei andere von rechts herangeflogen kommen und eine Girlande mit sich führen.
Links gibt ein Fenster den Blick auf ein beleuchtetes Wirtszimmer mit einer geselligen Herrenrunde frei, die sich zum „Neujahr“ mit Sektgläsern zuprostet. Mitten unter den vier Herren sitzt eine Frau mittleren Alters mit Haardutt, bei der es sich um Aennchen Schumacher, das heißt um die weltberühmte „Lindenwirtin“, handeln könnte: Ihre Gaststätte war in diesen Jahren stadtbekannt und als „Mutter der Studenten“ wurde sie vielfach zitiert.
Rechts auf der Postkarte sehen wir drei große Kirchturmglocken, die das neue Jahr einläuten und auf denen jeweils der Spruch „ora et labora“ eingraviert ist. Er gilt als Grundsatz aus der Tradition der Benediktiner und stammt aus dem Spätmittelalter, wobei er den Glauben bezeichnet, dass der Weg zu Gott nur über das Gebet und die harte Arbeit führt.
Februar 2016: Weiberfastnacht 1975 unter dem Motto: „Freude hält fit – maat all mit!“
Das Stadtarchiv präsentiert Ihnen zu Karneval ein historisches Plakat aus dem Jahre 1975, das auf den „Großen Weiberfastnachtszug“ und die „Erstürmung des Rathauses“ Beuel in ganz besonderer Weise aufmerksam macht: Das Plakat zeigt einen weißen Feinripp-„Liebestöter“, der an einer Wäscheleine aufgehängt ist. Der Hintergrund ist signalrot, und über der Wäscheleine steht in großen bunten Lettern „Weiberfastnacht Bonn-Beuel“. Die aufgehängte – gewaschene - Unterhose verweist natürlich auf die Arbeit der Wäscherinnen. Um den Bezug noch deutlicher zu machen, lugt aus deren Eingriff die Maske einer „Möhn“ hervor.
Die Weiberfastnacht hat ihren Ursprung im ehemaligen Wäscher- und Fischerdorf Beuel und markiert seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts den Übergang vom Sitzungs- zum Straßenkarneval. Während die Weiberfastnacht allerorts durchweg nur eine Vorfeier zum Karneval darstellt, wurde und blieb sie in Beuel Hauptsache.
Im Jahre 1824 – und zwar am Donnerstag vor Aschermittwoch - schlossen sich die Beueler Wäscherinnen zum ersten Beueler Damenkomitee 1824 e.V. zusammen. Sie nutzten die Gelegenheit, dass an den Donnerstagen ein Großteil der Beueler Männer mit Schiffen nach Köln fuhr, die von den Frauen gewaschene und geplättete Wäsche auszuliefern, um ihre Teilnahme am bisher rein durch Männer vertretenen Karneval zu erwirken. So wurden erste emanzipatorische Gedanken von den Beueler Wäscherinnen in die Lande getragen.
Die zweifellose Durchsetzungskraft der Wäscherinnen spiegelt sich auch in der Steinskulptur des Brückenweibchens wider: Eine keifende Waschfrau mit einem wurfbereiten Pantoffel in der Hand war das Pendant zum bekannten Bonner Brückenmännchen („Bröckemännche“), das seit 1898 den rechten Turm des Beueler Strompfeilers der 1945 zerstörten Rheinbrücke schmückte. Das Brückenweibchen wurde als Revanche von den Beuelern mit Blick nach Bonn am linken Turmpfeiler befestigt. Zur 125-Jahrfeier der Beueler Weiberfastnacht wurde das Brückenweibchen am Hans-Steger-Ufer wieder aufgestellt und befindet sich seit 2006 an der neuen Hochwasserschutzmauer am Beueler Rheinufer.
Seit 1958 wird jedes Jahr in Beuel die Wäscherprinzessin proklamiert, die zusammen mit der Obermöhn das „Zweigestirn am Beueler Karnevalshimmel“ darstellt. Nach einem großen Weiberfastnachtsumzug zieht das Zweigestirn zusammen mit dem Damenkomitee am Karnevalsdonnerstag zum Sturm auf das Beueler Rathaus, das vom Bonner Oberbürgermeister verteidigt wird. An Weiberfastnacht übernehmen also die Frauen symbolisch die Macht; was sich vor allem auch in dem Brauch ausdrückt, dass sie an diesem Tag den Männern ihre Krawatten abschneiden.
März 2016: „Jupp“ Messinger – frühes Opfer des Nationalsozialismus - verhaftet 1. März 1933
Der Bonner Arbeiter und Kommunist Josef Messinger (geboren am 12. Februar 1907 in Beuel) wurde am 11. Juli 1933 von Nationalsozialisten ermordet. Seit 2003 erinnert ein Stolperstein vor seinem ehemaligen Wohnhaus in Bonn, Limperich, Am Finkenberg 1, an ihn. Josef Messinger leitete in den 1920er Jahren den „Kampfbund gegen den Faschismus“. Im Zusammenhang mit seiner Teilnahme am sogenannten „blutigen Sonntag“ (7. Dezember 1930) in Bonn, einem schweren Zusammenstoß zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten, wurde er des Mordes an dem SA-Mann Klaus Clemens beschuldigt und festgenommen. In seinem Prozess im Jahre wurde er 1931 jedoch freigesprochen.
Am 1. März 1933 wurde er zusammen mit seinem Bruder Hermann und anderen Kommunisten von den Nationalsozialisten verhaftet und erneut des Mordes an Clemens beschuldigt. Messinger saß im Gefängnis in der Wilhelmstraße ein. Zu Verhören wurde er in das Bonner Quartier der SS - in der damaligen Viktoriastraße (heute Heerstraße) - gebracht, das zuvor als Frauengefängnis gedient hat. Dort, im Keller des heutigen Oscar-Romero-Hauses, wurde Messinger zu Tode gefoltert. Indes wurde behauptet, er habe den Freitod gewählt.
In den Tageszeitungen war zu lesen: "Messinger hat sich in der Zelle Impressum: Der Oberbürgermeister der Bundesstadt Bonn, Stadtarchiv/Presseamt erhängt" und "Messinger beging im Gefängnis Selbstmord durch Erhängen", obwohl seine Ermordung unbestritten war. Das schwarz-weiß-Foto aus dem Jahre 1926 zeigt den damals neunzehnjährigen Josef Messinger (2. Reihe ganz rechts) und daneben seinen Bruder Hermann mit anderen Mitgliedern des „Beueler Rotfrontkämpferbundes“.
Interessant ist hierbei besonders auch das Plakat, vor dem sich die Gruppe mit Fahnen positioniert hat. Es handelt sich um ein Plakat des Bonner Künstlers und KPD-Stadtverordneten Fritz Faust (1880-1939), der als „Vater der kommunistischen Bewegung“ in Bonn gilt. Vom Motiv dieses Plakats existiert auch eine Postkarte, die im Bonner Stadtarchiv aufbewahrt wird: Es zeigt eine Karikatur des früheren Kaisers Wilhelm II. aus dem Jahre 1926 mit dem Spruch: „Willi beköm[m]t Nichts!“ Faust spielt auf die Volksabstimmung im Juli 1926 an, nach der es zu einer entschädigungslosen Enteignung der deutschen Fürsten gekommen ist.
Das Stadtarchiv besitzt nicht nur Fotos von Josef Messinger, sondern auch eine 25-minütige Videokassette der „Geschichtswerkstatt Gesamtschule Bonn Beuel“ aus dem Jahre 1989 mit dem Titel „Jupp Messinger. Ermordet 11.07.1933“ (Zugangsnummer: 4370), in dem unter anderem Zeitzeugen zu Wort kommen.
April 2016: Briefwechsel Johannes Gropper mit Hermann von Wachtendonk
Das Zeitfenster im April zeigt einen Brief von Johannes Gropper an Hermann von Wachtendonk, Abt von Siegburg, über den Verkauf des Kottenforstes und die Beeinträchtigung der Rechte der Bonner Propstei vom 20. Juni 1588 mit Originalunterschrift. Der Text stammt aus der Zeit, als der Absender Probst des einflussreichen Bonner Cassiusstiftes (1549-1548) war. 1951 erwarb das Stadtarchiv Bonn diesen Brief zusammen mit anderen Unterlagen zum Kottenforst aus dem Archiv der Grafen von Westerholt auf Schloss Arenfels, welches damals aufgelöst wurde. Heute gehört das Schreiben zum Bestand SN 174 Westerholtsche Akten und Urkunden Nr. I/1.
Der Urheber des Briefes, Johannes Gropper (geb. 24.2.1503 Soest, gest. 13.3.1559 Rom), war ein bedeutender katholischer Theologe, Jurist und Kirchenpolitiker. Während der Reformbestrebungen im Kurfürstentum und Erzbistum Köln galt er als Verteidiger des katholischen Glaubens und „Retter der Kölner Kirche“.
Gropper studierte Philosophie und Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln und wurde am 7. November 1525 promoviert. Setzte er sich zunächst für Verwaltungsreformen im Erzstift ein, wandte er sich seit 1530 der Theologie zu und legte wegweisende Reformstatuten vor. Er verhandelte mit den protestantischen Reformatoren kontroverse Fragen unpolemisch und verständigungsbereit. 1540/41 war Gropper an den Religionsgesprächen von Worms und Regensburg beteiligt.
Als Erzbischof Hermann von Wied in Köln 1542/47 durch Martin Bucer die Reformation im Kurfürstentum und Erzstift Köln einführen wollte, stellte sich Gropper an die Spitze des schließlich erfolgreichen Widerstandes. 1555 wurde er zum Kardinal designiert. 1558 reiste er nach Rom, um die Bestätigung des umstrittenen Johann Gebhard Graf von Mansfeld als Erzbischof von Köln zu verhindern. Dort verstarb er am 13. März 1559 vermutlich an den Folgen einer Malariaerkrankung. Der Papst selbst hielt die Grabrede.
Weitere Informationen
- Walter Lipgens, Kardinal Johannes Gropper, 1503-1559, und die Anfänge der katholischen Reform in Deutschland, Münster 1951 (Signatur: I c 935).
- Josef Niessen, Bonner Personenlexikon; 3. Auflage, Bonn 2011 (Signatur: 2006/495).
- Stadtarchiv Bonn, Pr 42/999.
Mai 2016: Eine Erinnerung an die Britische Kolonie in Bonn im 19. Jahrhundert
„Sharpe‘s Present Peerage“ ist eines von mehreren familienkundlichen Handbüchern aus dem Britischen Empire, das – vergleichbar mit dem „Gothaer genealogischen Hofkalender“ aus Deutschland – einen Überblick über verwandtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse der adligen Kreise gibt. Dieses 1834 erschienene Handbuch enthält außer dem aktuellen Stand des britischen Hochadels auch eine „neue und umfassende Auflistung der hochadligen Töchter, die unter ihrem Stand verheiratet worden waren“.
Es vermag beim ersten Blick etwas verwunderlich erscheinen, dass dieses Buch in dem älteren Teil der Sammlung der Stadthistorischen Bibliothek Bonn vorhanden ist. Leider ist die Herkunft des Buches nicht mehr nachvollziehbar, aber vermutlich ist es als Nachlass einer der mehreren britischen Schulen und Internate in Bonn abgegeben oder von einer der vielen britischen Familien oder Studenten, die im 19. Jahrhundert in Bonn wohnten, zurückgelassen worden.
Angezogen von Reisebeschreibungen der sogenannten Rheinromantik und des guten Rufes der Universität sowie des milden Rheintalklimas umfasste die britische Kolonie in Bonn zeitweise bis zu 1000 Personen.
Englischsprachige Reiseliteratur „Rheinromantik“ in der Stadthistorischen Bibliothek:
- Radcliffe, Ann: A journey made in the summer of 1794 through Holland and the western
Frontier of Germany with the return down the Rhine, London 1795
(Signatur: II b 7) - Scenery of Rhein, Belgium and Holland, from drawings by Captn. Batty of the Grenadier
Guards F. R. S., London 1826
(Signatur: II b 2166) - Travelling Sketches on the Rhine, and in Belgium and Holland, with 26 beautifully finished Engravings from Drawings by Clarkson Stanfield, by Leitch Ritchie, London 1833
(Signatur: II b 1282) - Bulwer-Lytton, Edward: The Pilgrims of the Rhine, London 1834
(Signatur: 97/416) - Trollope, Frances: Belgium and Western Germany in 1833 including visits to Baden-Baden,
Wiesbaden, Cassel, Hanover, the Harz Mountains, etc. etc. by Mrs. Trollope, Brussels/
Francfort o. M. 1834
(Signatur: 98/106) - Mayhew, Henry: The Rhine and its picturesque scenery, London 1856
(Signatur: II b 1020)
Über Briten in Bonn:
- Schloßmacher, Norbert: “It is difficult to imagine a more agreeable spot than this for a residence...”. Briten in Bonn bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine Skizze, in: Bonner Geschichtsblätter. 47/48 (1998). S. 273 – 301 (Signatur: I e 303-47/48-)
Juni 2016: Karikaturist Klaus Böhle
Mit einer Karikatur von Klaus Böhle erinnert das Zeitfenster des Stadtarchivs in diesem Monat an den Berlin-Beschluss des Deutschen Bundestags vor 25 Jahren, der für die Stadt Bonn einschneidende Veränderungen zur Folge hatte und bis heute für anhaltende Diskussionen sorgt.
Seit der Parlamentarische Rat am 10. Mai 1949 Bonn und nicht Frankfurt zum vorläufigen Sitz der Bundesorgane bestimmt hatte, war Bonn zunehmend zur echten Hauptstadt geworden, was sich auch in den Neubauplänen der Regierungsorgane und in den finanziell grundlegenden Bonn-Vereinbarungen von 1980 und 1990 zeigte. Bereits kurz nach dem Mauerfall 1989 und erst recht im Zuge der sich abzeichnenden Wiedervereinigung gab es erste Überlegungen, ob nicht die jahrelang beschworene alte Hauptstadt Berlin als Sitz von Regierung und Parlament dienen sollte. Bereits Anfang 1990 setzte sich der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker als erster ranghoher Politiker engagiert für die Einlösung des historischen Versprechens ein.
In der folgenden leidenschaftlichen Diskussion standen sich Bonn- und Berlin-Befürworter z.T. unversöhnlich gegenüber. Die abschließende fast zwölfstündige Debatte am 20. Juni 1991 im Bonner Wasserwerk „gehört zu den Sternstunden des deutschen Parlamentarismus“ (Hanns Jürgen Küsters) und endete mit einem unerwarteten knappen Sieg der Berlin-Befürworter (338:320).
Die versprochene faire Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin und der zugesagte finanzielle Ausgleich für die Hauptstadt der alten Bundesrepublik wurden in langwierigen
Verhandlungen zum Berlin/Bonn-Gesetz geregelt. Es fand seinen Abschluss in der Abstimmung im Deutschen Bundestag und Bundesrat im März 1994. Danach verblieben in Bonn sieben Ministerien (wovon das Postministerium 1998 aufgelöst wurde). Zusätzlich wurden der neuen Bundesstadt Bonn Ausgleichzahlungen von 1,4 Milliarden DM zugesprochen, die für neue Projekte in den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Internationales und Kultur zur Sicherung oder Schaffung von Arbeitsplätzen dienen sollten.
Die vorliegende Karikatur von Klaus Böhle bezieht sich auf den Kabinettsbeschluss vom 11. Dezember 1991 und den darauf folgenden Beschluss des Ältestenrats, der die Entscheidung vom 20. Juni für die „alte“ Hauptstadt Bonn durch eine Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn erträglicher machte. Der Karikaturist konzentriert sich auf die beiden Bürgermeister Hans Daniels für Bonn und Eberhard Diepgen für Berlin. Beide sitzen einander und damit der jeweils konkurrierenden Hauptstadt zugewandt auf einer mitten in einem Fluss der Geschichte stehenden Wippe mit der Aufschrift „Zweifacher Regierungssitz“. "Strasse in Nechanitz" 1866
Beider Körperhaltung und Gesichtsausdruck signalisieren Entschlossenheit. Am Flussufer weist rechts ein Wegweiser Richtung Spree, links weist er Richtung Rhein. Der die Wippe tragende Pfeiler ist mit der Aufschrift „Beschluss vom 20. Juni 1991“ und einem riesigen Nagel versehen, an dem ein Schild „Kabinettsbeschluss 11.12.91“ flattert. Die beiden Bürgermeister tragen nur jeweils ein Kleidungsstück: Hans Daniels ein zu großes Jackett und auf der anderen Seite Eberhard Diepgen eine viel zu weite zu Daniels Jackett passende Hose, die von Hosenträgern kaum gehalten werden kann.
Beider Gedanken sind in Sprechblasen zu lesen: Der Bonner OB denkt vieldeutig an die Aufhebung der Sperrstunde zur Belebung des Bonner Nachtlebens und an die fehlende Anzughose, lässt aber zugleich in dem Wortspiel („Jacke wie Hose“) Resignation erkennen; Berlins Regierender Bürgermeister beansprucht den Kulturzuschuss aus dem Bonn-Vertrag für die Berliner Theater und erhebt Anspruch auf die Jacke, d.h. auf sämtliche Ressorts. Gekrönt wird die Wippe vom Bundesadler, der auf dem Hammer sitzt, mit dem die Arbeitsteilung festgeklopft wurde. Seine Zufriedenheit mit der Regelung wird in der Sprechblase deutlich. Am linken Bildrand staunt der Deutsche Michel über den Fluss der Geschichte und die in ihm versinkenden Aktenkoffer, Dosen mit den Aufschriften „Altlast“und „Stasi“. Die Parteinahme für Bonn wird in Böhles Karikatur klar erkennbar: Er ist gegen eine alleinige Hauptstadt Berlin und befürwortet die Arbeitsteilung mit Bonn, hält sie aber zugleich auch für einen Balanceakt.
Klaus Böhle (1925-2003) zeichnete jahrzehntelang Karikaturen für „Die Welt“ und den „Bonner General-Anzeiger“, war aber auch als Cartoonist für die Bonner Oper und zeitweise sogar als Bühnen-und Kostümbildner (Der Wildschütz 1993) tätig. Einige seiner Operncartoons sind bis zum Spielzeitende am 10. Juli noch in der der Jubiläumsausstellung in der Bonner Oper zu sehen.
Wer sich über die damaligen Diskussionen informieren oder die Debattenatmosphäre nacherleben möchte, kann dies in der frei zugänglichen fünfzigbändigen Dokumentation
„Bonn/Berlin“ der Zeitungsausschnittsammlung im Benutzerbereich des Stadtarchivs tun.
Juli 2016: „Strasse in Nechanitz“ 1866
Schon seit langem befindet sich das vorliegende Foto „Straße in Nechanitz“ in der Bildsammlung des Stadtarchivs, Hinweise über den Ursprung oder Angaben, wie gerade diese Fotografie in das Bonner Stadtarchiv gelangt ist, fehlen jedoch. Nun konnte das Bild neuverzeichnet und näher bestimmt werden. Die Fotografie trägt als Urhebervermerk den eingedruckten Vermerk „Nach der Natur photographiert von J. F. Stiehm, Berlin“ und enthält zusätzlich die handschriftliche Widmung „Zur Erinnerung an die Tage von Nechanitz, Sommer 1866. Dr. B.“. Die Zeit- und Ortsangaben – Nechanitz (heute: Nechanice) im Verwaltungsgebiet von Königgrätz (heute: Hradec Králové) in Tschechien, dem früheren Böhmen – verweisen eindeutig auf den deutsch österreichischen bzw. Deutschen Krieg von 1866.
Entscheidungsschlacht von Königgrätz am 3. Juli 1866 - also vor genau 150 Jahren
An diesem Krieg hat auch das damalige Bonner Königshusarenregiment teilgenommen, insbesondere auch an der Entscheidungsschlacht von Königgrätz am 3. Juli 1866 - also vor genau 150 Jahren. Der Deutsche Krieg war nach dem deutsch-dänischen Krieg von 1864 und vor dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 der zweite, der sog. deutschen Einigungskriege unter der Kanzlerschaft Otto von Bismarcks, in deren Folge bekanntlich die Gründung des Deutschen Reiches unter der Führung Preußens erfolgte, die damalige "Kleindeutsche Lösung".
Der Fotograf Friedrich Wilhelm Stiehm (geboren, 22.03.1826 - gestorben, 20.07.1902 Berlin) war
nach einem Bericht der "Photographischen Mittheilungen" von 1866 der einzige Fotograf, der die
Orte der Kampfhandlungen überhaupt erreichte. "Er hat nachträglich den Kriegsschauplatz besucht und eine große Zahl interessanter Platten mitgebracht. Er zaudert aber, diese herauszugeben, mit Rücksicht auf die gänzliche Schutzlosigkeit Photographischer Erzeugnisse." Dieser fehlende Urheberschutz für Fotografien wurde erst 1876 durch ein Reichsgesetz gewährt, mit der auch damals sehr bescheidenen Schutzfrist von fünf Jahren ab Veröffentlichung.
"vermutlich das früheste fotografische Zeugnis von der humanitären Tätigkeit des Roten Kreuzes"
Die Widmung stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit von Dr. Wilhelm Baltes (geboren, 23.09.1820 Gummersbach - gestorben, 18.05.1880 Bonn). Dieser war seit 1863 Regimentsarzt der Bonner Königshusaren und im Deutschen Krieg von Mai bis September 1866 Chefarzt des 1. schweren Feldlazaretts des VIII. Armee-Korps, sowie vom 21.07. bis 25.08.1866 Feldlazarett-Direktor des VIII. Armee-Korps, zu dem auch die Bonner Husaren gehörten. [vgl. Bildausschnitt]
Ob der Stiehm die Fotografien erst nach Einführung des Urheberschutzes 1878 veröffentlicht hat oder doch bereits vorher, ist nicht bekannt: Jedenfalls muss das Bild vor 1880 publiziert worden sein, wenn die Identifikation des Widmers stimmt. Noch 1987 schreibt Bodo von Dewitz in einem Ausstellungskatalog: "Da bislang keines dieser Bilder aufgetaucht ist, kann über das Maß der Kriegsnähe und der Authentizität dieser Photographien keine Aussage erfolgen." Die Kriegsnähe dieses Fotos ist sicherlich nicht so groß wie diejenigen, die vom deutsch-dänischen und deutsch-französischen Krieg bekannt sind, insbesondere, da die Aufnahmen nach den eigentlichen Kämpfen entstanden. Die Authentizität ist sicherlich recht hoch, soweit man dies bei "gestellten" Gruppenaufnahmen überhaupt sagen kann.
Bemerkenswert erscheinen die Rote-Kreuz-Fahnen. Diese sind zwar nachgemalt, dies ist jedoch
durch die damalige Unempfindlichkeit fotografischer Platten im roten Farbbereich notwendig
gewesen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, 1864 gegründet, hatte in diesem Krieg seine erste Bewährungsprobe, nachdem es im deutsch-dänischen Krieg nur einen Beobachterstatus innehatte. Insofern ist dieses Bild vermutlich das früheste fotografische Zeugnis von der humanitären Tätigkeit des Roten Kreuzes.
August 2016: Das Rechenbuch des Gabriel Adrian
(Adrian, Gabriel: Der bei den sieben Bergen am Rhein wohnende Rechenmeister Gabriel Adrian. Theil I, S.36)Viele Dinge scheinen schwer,
Und sind leichter, als man meinet;
Wenn sich nur im Rechener,
Denken – Muth und Fleiß vereinet.
2014 veröffentlichte Kurt Wesoly in der Reihe „Romerike Berge“ den Aufsatz „Rechenunterricht und Rechenbücher im Herzogtum Berg“¹. In seinem Aufsatz stellt Kurt Wesoly unter Anderem einige frühe Rechenbücher aus dem 18. und 19. Jahrhundert vor, die im Herzogtum Berg, wozu auch Orte Bonns und Umgebung gehörten (z.B. Beuel, Ramersdorf, Oberkassel, Oberdollendorf²), verbreitet waren und z.T. auch im Schulunterricht verwendet wurden.
Eines der Rechenbücher, die Kurt Wesoly in seinem Aufsatz vorstellt, wurde in Bonn 1792 und 1793 in der kurfürstlichen Hofdruckerei gedruckt und bildete nach Erscheinen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Grundlage für den Rechenunterricht an der „Deutschen Stadtschule“ in Bonn. Verfasst wurde es von dem in Oberkassel lebenden Lehrer, Kaufmann und Wirt Gabriel Adrian.
Gabriel Adrian gehört wohl zu den interessantesten Oberkasseler Persönlichkeiten seiner Zeit. Einen detaillierten Beitrag über sein Leben und seine Persönlichkeit kann man in der Schriftenreihe des Heimatvereins Bonn-Oberkassel e.V. finden³. Adrian wurde 1734 in Ketzberg bei Solingen geboren und fand mit 21 Jahren, nach einer ersten Lehrerstelle in Haan, seinen Weg an die Schule in Oberkassel.
Die Motivation, ein Rechenbuch zu verfassen, rührte unter anderem von seiner Beobachtung her, dass die Schüler nicht etwa zu dumm waren, bestimmte, im Grunde einfache „Geschäftsaufgaben“ zu lösen - es fehlte eher an für die Lösung solcher Aufgaben nötigen, aktuellen Umrechnungstabellen für die verschiedenen Maße, Münzen und Gewichte. In seinem Buch führte er dann in vergleichsweise geringem Umfang Umrechnungstabellen auf, baute aber die alten und neuen Werte in seine Aufgaben ein.
Neben dem kaufmännischen Rechnen vermittelte er in seinem Buch auch Kenntnisse der „Geometrie oder Landmeßkunst“, „Stereometrie oder Visierkunst“ und der „Horographie“ (Wissenschaft von der Bestimmung der Zeit durch Sonnenuhren). Sein zudem mit vielen Versen gespicktes Buch fand an vielen rheinischen und bergischen Schulen neben einem älteren Rechenbuch von Servatius Schlyper⁴ Verwendung.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Gabriel Adrians Rechenbuch (vor allem an bergischen Schulen) durch das Buch von Daniel Schürmann⁵ abgelöst, einem Pädagogen aus Remscheid. Schürmanns Buch wurde so erfolgreich, dass man das Sprichwort „Stimmt nach Schürmann“ bis ins 20. Jahrhundert hinein im Bergischen Land hörte. Gabriel Adrians Rechenbuch sowie Literatur über ihn und sein Buch können im Stadtarchiv eingesehen werden. Zudem können die anderen erwähnten historischen Rechenbücher (und ein weiteres von Kalman Cohen⁶) und zwei historische Karten vom Herzogtum Berg kostenlos über die unten aufgeführten Links gelesen und betrachtet werden.
(Adrian, Gabriel: Der bei den sieben Bergen am Rhein wohnende Rechenmeister Gabriel Adrian. Theil II, S.12)Dieses vor, und jenes nach;
Hiermit heute – damit morgen,
Sich mit Vorath zu versorgen,
Ist des weisen Mannes Sprach.
Adrian, Gabriel:
Der bei den sieben Bergen am Rhein wohnende Rechenmeister Gabriel Adrian. – Bonn:
Kurfurstl. Hofbuchdr., 1792 – 1793.
Erscheinungsjahr in Vorlageform:1792. 93
Signatur Stadtarchiv Bonn: I k 42
Adrian, Gabriel:
Der bei den Sieben Bergen am Rhein wohnende Rechenmeister Gabriel Adrian: Auszüge aus dem in Bonn in den Jahren 1792 und 1793 erschienenen Werk ; [Nebst] Beil.: Adrian: Ausgewählte Verse aus dem in den Jahren 1792 u. 1793 erschienen Werk / [Von] Adrian Gabriel. - Bonn-Oberkassel : Großjohann, 1994. - 70 S. + 1 Beil. (15 S.) ; 8. - ( Beiträge zur Geschichte von Oberkassel und seiner Umgebung ; 10) Signatur Stadtarchiv Bonn: 94/3-10-
¹Wesoly, Kurt:
Rechenunterricht und Rechenbücher im Herzogtum Berg / von Kurt Wesoly
In: Romerike Berge. 64 (2014), 3. S. 16 - 25 : Ill.
Signatur Stadtarchiv Bonn: II b 1862-64,3-
Inhaltsverzeichnis Online:
http://www.bgv-gesamtverein.de/RB-3-2014-Inhalt.pdf (Öffnet in einem neuen Tab)
²Sanson, Guillaume:
Le duché de Berg, le comté de Homberg, les seigneuries de Hardenberg et de Wildenborg
dressé sur les memoires les plus recents [Document cartographique] / par le Sr. Sanson. –
Paris: Jaillot, 1700 : 1 Kt. ; 43,5 x 57 cm
Online Ausgabe:
Paris: Französische Nationalbibliothek, [2013]
ARK: ark:/12148/btv1b530410017
http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b530410017 (Öffnet in einem neuen Tab)
http://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb40743298b (Öffnet in einem neuen Tab)
²Seutter, Matthaeus:
Ducatus Iuliacensis, Cliviensis et Montensis, ut et Principatus Meursiani et Comitatus
Zutphaniensis novissima et accuratissima Delineatio / Matthaeus Seutter. - Augustani,
[zwischen 1730 u. 1760]: 1 Kt. : Kupferstich ; 47 x 54 cm ; [Ca. 1:390 000]
Online-Ausgabe:
Düsseldorf: Universitäts- und Landesbibliothek, 2011
URN: urn:nbn:de:hbz:061:1-42005
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/urn/urn:nbn:de:hbz:061:1-42005 (Öffnet in einem neuen Tab)
³Hansmann, Aenne:
Gabriel Adrian: (1734 - 1809) ; Lehrer, Kaufmann, Rechenmeister
In: Oberkasseler Persönlichkeiten. Bonn-Oberkassel 1993. S. 9 - 19: Ill.
Signatur Stadtarchiv Bonn: 84/377-11-
⁴Schlyper, Servatius:
Neu-eröffnete, Vollständige, wohl-gezierte Rechen-Stube : Das ist: Wohlgegründetes, höchstnützliches Rechen-Buch ... / zum allg. Nutzen eröffnet von Servatius Schlyper, SingSchreib- und Rechen-Meister. - Düsseldorf : Vander Smissen ; Düsseldorf [u.a.], 1734 : [7]
Bl., 271 S. : Frontisp. (Kupferst.) ; 8
Online-Ausgabe:
Düsseldorf : Universitäts- und Landesbibliothek, 2010
URN: urn:nbn:de:hbz:061:1-16872
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/urn/urn:nbn:de:hbz:061:1-16872 (Öffnet in einem neuen Tab)
⁵Schürmann, Daniel:
Daniel Schürmann's d. Ä. Schullehrers in Remscheid practisches Schulbuch der gemeinen
Rechenkunst und Geometrie : mit Figuren, dem Lehrer beim mündlichen Unterrichte beqeum,
dem Schüler zur Übung nützlich ; für die hiesigen und benachbarten Gegenden / umgearbeitet
und herausgegeben von Daniel Schürmann d. J., Succentor zu St. Marien in Osnabrück ... -
Osnabrück : Kißling, 1828-1829.
1. Erster Theil. – 1828. - 144 S., [6] Bl.
2. Zweiter Theil. – 1829. - 220 S.
Online-Ausgabe:
Göttingen: Göttinger Digitalisierungszentrum, 2009
PPN584716176
http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN584716176 (Öffnet in einem neuen Tab)
http://gdz.sub.uni-goettingen.de/dms/load/mod/?PID=PPN584716176 (Öffnet in einem neuen Tab)
⁶Cohen, Kalman:
Neue vollständige und gründliche Eröfnung der universal-öconomischen Arithmetique :
Woraus alle kunstliebende diese so schätzbare als nützliche Kunst von selbsten erlernen
können / von Kalman Cohen, Jude, Ihrer Churfürstl. Durchleucht zu Pfalz gnädigst
priviligierten Rechen-Meister in Düsseldorf, bey welchem es auch im Verlag zu finden ist. -
Düsseldorf : Verf. / Stahl, 1758 : 479 S., 24 Tab., 2 Faltbl. ; 8
Online-Ausgabe:
Düsseldorf: Universitäts- und Landesbibliothek, 2010
URN: urn:nbn:de:hbz:061:1-16301
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/urn:nbn:de:hbz:061:1-16301 (Öffnet in einem neuen Tab)
September 2016: Bonner Tiergarten
Die hier gezeigte Annonce, die im General-Anzeiger am 04.10.1901 veröffentlicht wurde, lenkt die Aufmerksamkeit auf eine fast vergessene Episode der Bonner Stadtgeschichte.
Der abgebildete Löwe begleitet den Text: „Bonner Thiergarten. Haltestelle der Dampfbahn. Neu! Neu! Sonntag den 6. Oct., von Nachmittags 3 Uhr ab: Die größte Attraktion, welche je auf dem Bonner Thiergarten gezeigt wurde. Erste Vorführung des berühmten Bonner Löwen Regus I., dressirt von Semona. U. A. werden folgende Bilder gestellt: Germania, Bavaria, Kraft und Liebe, Siegesfigur vom Kaiser-Wilhelm-Denkmal, Gefangene Christin, Themis ec. ec. Auftreten der unverbrennbaren Feuer-Walküre und der orientalischen Piston-Virtuosin. Die Zwischenpausen werden durch Concert ausgefüllt. Kameel- und Eselreiten, Ponyfahren. Abends großes Feuerwerk. Gute Restauration. Einmaliges Entree für alle Vorstellungen 30 Pfg., Kinder 15 Pfg.“
Dieser Tiergarten, heute würde man Zoo sagen, war eine große Attraktion an der Rheinstraße in Dottendorf. Seit der Eingemeindung in die Stadt Bonn 1904 heißt die Straße Dottendorfer Straße. Das ehemalige Tiergarten-Gelände wird heute von der Straße In der Raste durchquert. Der erste Bonner Zoo wurde von Antonia Rieth begründet, einer alleinstehenden, exzentrischen Dame aus der Bonner Kaiserstraße. Sie besaß schon vor der Zeit des Tiergartens viele Tiere und war dafür bekannt, dass sie mit einem Löwen in Bonn spazieren ging und damit für Aufregung sorgte.
Sie hatte Geld geerbt, kaufte das Gelände des ehemaligen Bauerhofes namens Dottenhof und eröffnete ihren Privatzoo 1897 für die Öffentlichkeit. Dies belegen die Zeitungsannoncen und die im Stadtarchiv Limburg erhaltene Korrespondenz zwischen Antonia Rieth und einer Limburger Tierhandlung. Im Kassenbuch der Tierhandlung ist vermerkt, dass sie in diesem Jahr u. a. Guanacos, Nandus und Strauße erworben hatte. Sie besaß bereits mehrere Löwen und bot drei männliche Exemplare zum Verkauf bzw. Tausch an.
Heute ist kaum vorstellbar, was im Bonner Tiergarten in den Jahren zwischen 1897 und 1914 stattfand: Tiershows, Feuerwerke, Konzerte und Zirkusartistik. Die in ihrer Zeit sehr bekannten Löwenbändigerinnen, „Die Geschwister Berg“, traten einmal mit 25 Löwen auf. Die Löwen von Antonia Rieth sollen zwischen dem bunten Treiben frei gelaufen sein. Besonders befremdlich wirken die sogenannten „Völkerausstellungen“, die Menschen aus exotischen Länder zur Schau stellten, etwa unter dem Motto: „Die Indonesier kommen“.
Die umtriebige Besitzerin geriet ab 1901 zunehmend in Schwierigkeiten und musste ihren Tiergarten schließlich an einen anderen Unternehmer abgeben. Letztendlich verschwand sie ohne Abmeldung aus Bonn. Die Kassenbücher der Limburger Tierhandlung führen sie nur noch als Schuldnerin. 1914 ging die Ära Bonner Tiergarten endgültig zu Ende, als ein Großfeuer die gesamte Anlage zerstörte.
Oktober 2016: „TABU“ - Bonns Existentialisten-Keller
Heute stellt das Stadtarchiv eine ungelaufene, gratis Schwarz-Weiß-Postkarte vor, die im November 1964 mit einer Auflage von 10.000 Stück gedruckt wurde. Diese Postkarte gibt Einblick in den Bonner Existentialisten-Keller „Tabu“. Wie aus dem Text der Anschriftenseite der Karte hervorgeht, handelt es sich um einen „künstlerkeller nach mont martre; treffpunkt der künstler, literaten und journalisten“, das „entfesselte inferno“ bietet „bei heißer musik mit brötchen gastspiele berühmter kapellen 353mm unter der erde“. Es ist „untergrundzentrum und unterirdisches elysium“.
Bonner „Tabu“, die zweite Filiale nach Köln
Das „Tabu“ wurde im Juli 1951 von dem bekannten Kölner Gastronom Hans Herbert Blatzheim in der ehemaligen Meckenheimerstraße 6-8 unter den „Scala-Lichtspielen“ eröffnet – dort, wo sich heute die Stadthaus-Loggia befindet. Deutschlandweit baute er zwischen 1949 und 1953 Tabu-Filialen in vielen Universitätsstädten. Vorbild hierfür war Juliette Grécos legendärer Kellerclub „Le Tabou“ im Pariser Studentenviertel Quartier Latin: Die Muse der Existentialisten versammelte um sich die Philosophen und Künstler der Szene wie Sartre, Camus, Beauvoir, Cocteau und Vian. Dort, wie auch in den Cafés von SaintGermain, entstand das Klischeebild des melancholischen, schwarz gekleideten Existentialisten, der nächtelang in Cafés und Jazzkellern philosophierte, indem er sich zumeist auf Sartre berief.
Zum Begriff „Existentialismus“
Im Existentialismus werden vor allem Themen wie Angst, Tod, Freiheit, Verantwortung und Handeln als elementar menschliche Erfahrung aufgegriffen. Seine Zentrierung auf das Problem der Befreiung des Menschen zu seinen eigenen Möglichkeiten hin zeigt sich in Begriffen wie Selbstentwurf, Freiheit und Selbstbestimmung. Die Notwendigkeit dieser Möglichkeit zu sein, verdeutlicht sich in Erfahrungen wie Absurdität, Ekel, Angst, Sorge, Tod oder Langeweile und legt dar, dass dieses subjektive Empfinden das Leben bestimmt, während Objektivitätsansprüche vor dem Hintergrund dieser Erfahrung verblassen. Hier lässt sich der Begriff „Tabu“ nahtlos einreihen.
Das Tabu, ein stillschweigendes gesellschaftliches Regelwerk, gebietet oder verbietet bestimmte Verhaltensweisen. Durch diesen stillschweigenden, impliziten Charakter unterscheidet es sich vom ausdrücklichen Verbot. Die unausgesprochenen, nicht hinterfragten sozialen Normen des Tabus sind bedingungslose, universelle und ubiquitäre Bestandteile einer funktionierenden Gesellschaft, wobei das mit dem Tabu Belegte jeglicher rationalen Begründung und Kritik entzogen ist.
Als in den 60er Jahren der Existentialismus aus der Mode kam, versuchte man mit „modernen“ Beat-Gruppen den Keller weiterzuführen, doch bereits 1967 musste der Keller wegen zu geringen Umsätzen schließen und wurde wenig später im Zuge der Stadtsanierung abgerissen.
November 2016: Die ersten Straßenbahnfahrerinnen in Bonn vor 100 Jahren
Vor fast genau 100 Jahren, im Oktober 1916, übernahmen erstmals Frauen als Fahrerinnen das Steuer bei den Bonner Straßenbahnen. Dass dieser ‚Fahrerwechsel‘ für die Bonner Betriebsdirektion durchaus kein freiwilliger Schritt war und zudem bei der männlichen Belegschaft nicht durchweg auf Gegenliebe stieß, bezeugen im Stadtarchiv verwahrte Akten der städtischen Straßenbahnverwaltung.
Im Verlauf des Ersten Weltkriegs war nahezu das gesamte Fahrpersonal der Bonner Bahnen eingezogen worden, selbst männliches Ersatzpersonal stand kaum noch zur Verfügung. Um den Betrieb weiterhin aufrecht zu erhalten, sah sich die Straßenbahndirektion gezwungen, Frauen einzustellen. So waren bereits seit März 1915 die ersten Schaffnerinnen auf den Wagen im Einsatz und ersetzten dort zunehmend das männliche Personal.
Dass sie den Schaffnerdienst nunmehr mit ihren neuen weiblichen Kolleginnen zu teilen hatten, stieß nicht bei allen Mitarbeitern auf Zustimmung. In einem Fall hatte sich sogar ein Schaffner geweigert, die Frauen der eingezogenen Kollegen an seinem Wagen auszubilden.
Als die Kölner Aufsichtsbehörde – die Königlich-Preußische Eisenbahndirektion – gegen Jahresende 1915 schließlich nahelegte, Frauen auch als Fahrerinnen für die Straßenbahnen auszubilden, lehnte dies die Bonner Betriebsleitung in Person des Direktors Sattler zunächst ab. In einem Schreiben an den Bonner Oberbürgermeister berief er sich auf die seiner Ansicht nach allgemein mangelnde Eignung von Frauen für den Fahrerdienst – schon ihre Beschäftigung als Schaffnerinnen sei zumeist „nicht voll zufriedenstellend“.
So habe man „[b]ei den meisten Frauen … – abgesehen von teilweise großer Unpünktlichkeit u. dergl. – immer mit Nachlässigkeiten in der Ausübung des Dienstes zu kämpfen (z.B. zu frühes Abschellen an den Haltestellen, Durchfahren an Haltestellen, an denen Fahrgäste aussteigen wollen u.s.w.). Die Frauen sind sich häufig der Verantwortlichkeit ihres Dienstes nicht recht bewußt. Solche Unsicherheiten im Betriebe werden aber gewiß erhöht, wenn der Frau die Führung eines Wagens u. gleichzeitig einer anderen der Schaffnerdienste anvertraut wird. In den wenigsten Fällen wird eine Frau als Fahrerin im Augenblicke einer Gefahr sich richtig zu benehmen wissen; in den meisten Fällen ist zu befürchten, daß sie durch verkehrte Maßnahmen eine Gefahr nicht wird abwenden können. Ich würde deshalb Bedenken tragen, einer Frau – mag sie zunächst auch geeignet erscheinen – die Führung eines Wagens zu überlassen.“
Drohende größere Betriebseinschränkungen infolge des nunmehr zunehmend einberufenen Fahrpersonals ließen derartige Bedenken allerdings nur anderthalb Monate später zur Makulatur werden. Mitte Januar 1916 beantragte die Bonner Betriebsdirektion die „Einstellung von weiblichem Personal als Fahrerinnen“. Erst sieben Monate später meldete dieselbe, dass nunmehr bei den städtischen Straßenbahnen Bonn sowie bei der Straßenbahn Bonn-Godesberg-Mehlem „Frauen als Wagenführerinnen der Triebwagen“ ab einem Mindestalter von 21 Jahren eingestellt würden. Am 1. Oktober 1916 nahmen dann schließlich die ersten Fahrerinnen ihren Dienst auf. Ohne sie – immerhin fast 50 waren es Anfang 1918 – wäre eine Aufrechterhaltung des Fahrbetriebs kaum möglich gewesen.
Gleichwohl: Nach Kriegsende – zu diesem Zeitpunkt bestand mehr als die Hälfte des gesamten Bonner Straßenbahnpersonals aus Frauen – wurden Fahrerinnen und Schaffnerinnen sukzessive entlassen, um, wie es hieß, Arbeitsplätze für die von der Front zurückkehrenden Angestellten freizumachen. Ähnlich verhielt es sich auch in anderen Arbeitsbereichen, in die Frauen während des Kriegs erstmals in großer Zahl – etwa als Briefträgerinnen, Kellnerinnen, Verwaltungsgehilfinnen oder Munitionsarbeiterinnen – vorgedrungen waren.
1943 waren die Bonner Straßenbahnen erneut wegen kriegsbedingten Personalmangels auf die Einstellung von Frauen als Fahrerinnen angewiesen – ein Ausnahmezustand von nur kurzer Dauer, denn nach dem Krieg mussten die Frauen erneut den männlichen Kollegen weichen. Erst in den 1970er/80er Jahren gingen die ersten großen Straßenbahnbetriebe dazu über, vereinzelt weibliche Straßenbahnfahrer einzustellen. Was damals noch als wagemutiges Experiment anmutete, gehört heute längst zum alltäglichen Straßenbild.
Der Thematik des aktuellen Zeitfensters widmet sich – neben anderem – der Beitrag von Katja Georg, Frauenleben und Frauenarbeit im Kriegsalltag an der „Heimatfront“ der in Kürze erscheinenden Veröffentlichung „Der Erste Weltkrieg in Bonn. Die Heimatfront 1914 – 1918“ – ein Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn und des Stadtarchivs Bonn (Erscheinungstermin: 7. November 2016).
Dezember 2016: Adolph Moll aus Beuel – der schrecklichste Mörder
Auf dem kleinen Aquarell (9,5 x 15 cm) ist ein brennendes Gebäude, offenbar das Haus Adolph Molls abgebildet, das von den Bürgern Beuels zerstört wird. Diese Momentaufnahme zeigt nur einen Ausschnitt ganz am Ende eines Kriminalfalles, der die Bewohner der Stadt Beuel über längere Zeit in Atem gehalten hatte. Es stammt aus der Sammlung SN 149 Johann Ignatz Schmitz-Reinhard (Buchhändler und Heimatforscher, 1908-1993), ist undatiert und auch der Zeichner ist leider unbekannt.
Im Juli des Jahres 1822 verschwanden eine schwangere Frau und ihr Sohn spurlos. Verdächtigt wurde der 26-jährige Schuster Adolph Moll, Stiefsohn und Stiefbruder der Verschwundenen. Da er zu dieser Zeit aufgrund Diebstahls bereits im Gefängnis saß, wurde sein Haus nach Hinweisen durchsucht, was allerdings erfolglos blieb. Moll gab damals an, dass seine Stiefmutter aufgrund von Gerüchten, er habe sie geschwängert, freiwillig aus dem Hause ausgezogen war, um seinen Ruf nicht zu schädigen.
Er war somit schon kein unbeschriebenes Blatt mehr, als Beuel rund ein Jahr später von einem weiteren Vermisstenfall erschüttert wurde. Heinrich Ochs aus Köln kehrte im Juli 1823 von seiner Reise nach Pützchens Markt nicht heim. Der Schneider war dorthin gefahren, um Wolltuch für 60 Taler einzukaufen. Seine Verbindung mit Adolph Moll kam schnell ans Licht, denn die beiden hatten gemeinsam gedient und waren befreundet gewesen. Offenbar hatte Ochs seinen Freund in Beuel besucht und war von diesem zu Speis, Trank und Übernachtung eingeladen worden. Bei einer Hausdurchsuchung fand man schließlich Kleidungsstücke, die denen des Vermissten sehr ähnlich sahen.
Bevor der dringend tatverdächtige Moll dem Beueler Bürgermeister aber überhaupt vorgestellt werden konnte, ergriff er zweimal die Flucht. Während er als Angeklagter im Gefängnis saß, suchte man am 20. September 1823 Haus und Hof nach der Leiche Ochs‘ ab. Man fand sie – erschlagen und
vergraben unter Molls Arbeitstisch. Der Schneider war offenbar Molls Habgier zum Opfer gefallen: er hatte auf Pützchens Markt nicht wie geplant Wolltuch einkaufen können und es Moll erzählt. So hatte dieser kurzerhand den Entschluss gefasst, die 60 Taler irgendwie an sich zu nehmen, die Ochs noch bei sich trug.
Doch nicht nur die Leiche des Schneiders wurde gefunden. Im Garten waren außerdem die Leichen von Molls Stiefmutter und seinem Stiefbruder vergraben. Moll gestand später, mit seiner Stiefmutter ein Verhältnis gehabt zu haben. Als sie, wohl von ihm, schwanger wurde, erschlug er sie und später seinen Stiefbruder aus Scham. Adolph Moll wurde im November 1823 zum Tode verurteilt und im Mai 1824 durch die Guillotine hingerichtet.
Im Stadtarchiv Bonn finden sich neben der Fachliteratur zahlreiche Grafiken zu Adolph Moll und die originalen Gerichtsakten. Für diesen Artikel verwendet wurden:
Ennemoser, Joseph: Über die nähere Wechselwirkung des Leibes und der Seele, mit anthropologischen Untersuchungen über den Mörder Adolph Moll. Bonn 1825. Sign.: Ig 548.; Materialsammlung zum Mundart-Hörspiel über den Mörder Adolph Moll. Sign.: SN 44/113.; Weffer, Herbert: Mord an Pützchens Markt 1823. Adolph Moll beging drei Morde. In: Die Laterne 34 (2007). S. 61-62. Sign.: IIb 464/2-34 (HB Reihe 24a).